D i e  K r o n e  d e s  R e i c h e s

 

 

N ü r n b e r g :

 

 Es war für den damaligen Nürnberger Oberbürgermeister Willy Liebel nun nicht schwer, den Führer zur Rückführung der seit 142 Jahren widerrechtlich in Wien einbehaltenen Reichskleinodien zu veranlassen. Um den Jubel der Wiener über den Reichsanschluß aber nicht unnötig zu unterbrechen, wurden die Reichskleinodien wieder einmal unter Ausschluß der Öffentlichkeit transportiert. Zwar mußten sie nicht mehr mit Fischen oder mit Mist getarnt werden.  In der Nacht vom 29. zum 30. August des Jahres 1938 reisten sie in einem geheim gehaltenen Sonderzug zurück zum Ort ihrer ewigen Verwahrung.

 

Am 5. September wurden dann zum Empfang des Führers die wichtigsten Reichsinsignien  erstmals im Nürnberger Rathaussaal ausgestellt. Der Fränkische Kurier schreibt:

"Der 600 - jährige große Rathaussaal mit den herrlichen Fresken nach Entwürfen Albrecht Dürers ist ohne Schmuck geblieben, und nur ein schmaler Saum roter Nelken auf der Holzvertäfelung und große Kübel leuchtender Gladiolen in den Fensternischen sind mit den schimmernden Kerzen auf den Kandelabern der schlichte Zierat.

Blickpunkt des Saales ist ein hoher Glasschrein an der Stirnseite. Er birgt die äußeren Zeichen deutscher Macht und Herrlichkeit, die Reichssymbole, Krone, Zepter, Reichsapfel und Schwert, die nun, nach der Schöpfung Großdeutschlands, in des Reiches Mitte zurückgekehrt sind." (24)

 

Am folgenden Tage wurden die Reichskleinodien in der Katharinenkirche, dem ehemaligen Versammlungsort der Meistersinger, der Öffentlichkeit übergeben. In der Frankfurter Zeitung, Vorläuferin unserer Frankfurter Allgemeinen, heißt es:

 

"Versteckt in den Gassen der alten Stadt, von Bäumen umschattet, steht nicht sehr weit von St. Lorenz der Katharinenbau. Hier war es, wo sich in der Katharinenkirche die Meistersinger zu versammeln pflegten. Vom heutigen Tage an wird die ehrwürdige Meistersingerkirche ein politischer Wallfahrtort aller Deutschen sein, denn seit heute stehen in ihr zur Schau aus die Insignien und Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Nicht, daß sie hier gesehen werden können, ist das Ereignis, sondern daß sich mit dieser Überführung an den Ort, der sie jahrhundertelang gehütet hat, ein Ring der Geschichte schließt.

 

Eine kleine dreischiffige, gotische Kirche mit flachen Holzdecken, die schon seit langem nicht mehr zum Gottesdienst benutzt wird. Altäre und Fenster fehlen, die Fenster im Chor sind vermauert....Auf zehn Vitrinen sind die Stücke der Insignien und Kleinodien verteilt....  Zauber und Glanz gehen von ihnen aus....Magisch zieht im mittleren Schrein unter dem Chorbogen die K r o n e  den Besucher auf sich. Ihr Reif ist aus acht Platten, über die sich nach hinten ein Bügel legt.

Vorn krönt sie ein Kreuz..." (25)  

 

Liebel sagte in seiner Ansprache:

 

"Aufs tiefste bewegt von der wahrhaft historischen Größe dieses geschichtlichen Augenblicks, dessen schicksalhafte Bedeutung für die alte Reichsstadt Nürnberg noch kaum absehbar erscheint, nehme ich als Oberbürgermeister dieser Stadt...die Reichsinsignien und Reichskleinodien des alten Deutschen Reiches ehrfurchtsvoll entgegen...Nach dem Willen des Führers wurden sie nun zurückgebracht an ihren einstigen geschichtlichen Verwahrungsort, in die alte Reichsstadt Nürnberg,...die im großdeutschen Reich nun wiederum zur "Stadt in des Reiches Mitte" geworden war." (26)

 

Ein Jahr lang verbreiteten die Reichskleinodien in der Nürnberger Katharinenkirche  Freude und Stolz:

"In der Herkunft und Bedeutung der Insignien spiegelt sich ein bester Teil unserer Geschichte, reich an Stolz und reich an Bitterkeit. Daß diese Erinnerungen sich jetzt wieder an würdiger Stelle dem deutschen Volk darbieten, mag für unser Bewußtsein von dauernder Bedeutung sein." (27)

 

Dann formierte sich die Front der Reichsfeinde aufs Neue. Ihres Verwahrungsauftrages eingedenk, brachten die Nürnberger  die Reichsheiltümer mit Kriegsbeginn in den Tresor eines Bankhauses. (28) Am 23. Februar 1940 lagerte man die Reichsschätze in einen speziell für Kunstwerke eingerichteten Luftschutzbunker unter der Nürnberger Kaiserburg ein. Der Direktor der städtischen Kunstsammlungen sorgte für Schutz vor Motten und Rost. Im Oktober 1944 wurde Nürnberg von alliierten Bombern schwer angegriffen. Am 2. Januar des folgenden Jahres wurde die Nürnberger Altstadt, des Reiches Schatzkästlein, in ein Ruinenfeld verwandelt.  Man mußte mit der Besetzung der Stadt rechnen. Da das Reich diesmal rings von Feinden umgeben war, blieb eine Flüchtung der Reichskleinodien wie in den Tagen Napoleons ausgeschlossen. Das "Reich" mußte in Nürnberg selbst verborgen werden. Ein Nürnberger Stadtrat schreibt:

 

"Auf Weisung des Oberbürgermeisters Liebel wurden damals Kupferbehälter für Krone, Reichsapfel, Zepter und die zwei Schwerter durch einen Nürnberger Kupferschmied angefertigt.

Als der Wehrmachtbericht vom 29. März 1945 meldete, dass amerikanische Panzerspitzen bis in den Raum Gmünden/Hammelburg vorgeprellt waren, konnte es für den Einsichtigen nur eine Frage der Zeit sein, wann Nürnberg Kampfgebiet werden würde. Der Oberbürgermeister liess die 5 erwähnten Stücke der Kleinodien sorgfältig in Glaswolle verpacken, in die Kupferbehälter einlegen und diese verlöten. Am 31. März wurden diese Behälter mit ihrem Inhalt aus dem Burgbergbunker geholt und in das Felsenlabyrinth unter dem Paniersplatz gebracht. Sie wurden in Anwesenheit des Oberbürgermeisters Liebel, des städtischen Luftschutzdezernenten Dr. Konrad Fries, des Hochbaudezernenten Heinz Schmeissner und des Denkmalspflegers der Stadt, Oberbaurat Julius Lincke in einer Nische dieses Kellers eingemauert. Fremde Hiflfskräfte waren dabei nicht tätig." (29)

 

Wie zur Zeit der Verwahrung allein  drei Losunger der Stadt Zugang zum "Versperr" der Reichskleinodien hatten, wie einst nur wenige um die Flüchtung des Reichshortes vor Napoleon wußten, so waren es jetzt nur vier Nürnberger Stadträte, die von dem Bergungsort der fünf wichtigsten Reichsinsignien Kenntnis hatten.

 

Um die Geheimhaltung sicherzustellen, wurde noch zusätzlich ein Täuschungsmanöver veranstaltet.

"Anstelle der eigentlich erwarteten Abholung (der Reichskleinodien aus dem Kunstbunker) durch Beauftragte einer Reichsstelle wurden etwa am 5. April als Scheinmanöver 2 leere Kisten aus dem Verwahrungsraum obere Schmiedegasse (das war der Kunstbunker)  ausgebracht und durch ein SS-Auto abgefahren. ...

Die Träger des Geheimnisses  verpflichteten sich, bei Anfragen nach dem Verbleib der Reichskleinodien die Aussage zu machen, daß sie zu einem uns unbekannten Ort abgefahren wurden." (30)

 

Nach heftigem Widerstand der Nürnberger rückten die Amerikaner am 20. April 1945  in die Ruinen der Stadt ein und feierten hier ihre Siegerparade. Oberbürgermeister Liebel war bei den Kämpfen gefallen. Wie einst der General  Napoleons hatten auch die derzeitigen Eroberer den Auftrag, sich als Krönung ihres Sieges der Reichskrone und der Reichsheiltümer zu bemächtigen. So wurde bei der Inspektion des Kunstbunkers  das Fehlen der Reichskrone und der anderen vier  Insignien sofort bemerkt.  Ein durch das Täuschungsmanöver bedingtes  Gerücht, diese seien  im Zeller See versenkt worden, erschien unglaubhaft. Die Suche nach der Reichskrone begann. Ein Spezialbeauftragter wurde eingesetzt. Es war der deutsche, in die USA emigrierte Kunsthistoriker Walter Horn, welcher als neu ernannter "Art - Intelligence - Officer" für diesen Auftrag  die besten Voraussetzungen mitbrachte.  In Gefangenenlagern verhörte er sich an die  "Losunger" Nürnbergs heran. Oberbürgermeister Liebel aber war tot. Julius Lincke war nicht auffindbar. Es blieben Heinz Schmeißner und Dr. Konrad Fries. Beide berichteten verabredungsgemäß  von der Verbringung der fehlenden Insignien an einen ihnen unbekannten Ort.

 

Dr. Fries wurde darauf verhaftet und in den Frankfurter Raum gebracht. Wie er berichtet, wurde ihm nach einer Nacht Einzelhaft vom Kunstoffizier Horn eröffnet, "daß die amerikanische Besatzungsmacht berechtigte Gründe für die Annahme zu haben glaubte, daß die versteckten Hauptstücke der Reichskleinodien die Symbole einer künftigen nationalsozialistischen Widerstandsbewegung werden sollten."

 

Es wurde ihm aber  "zugesichert, daß die amerikanische Besatzungsmacht nicht die Absicht habe, die Reichskleinodien einschließlich der fehlenden Stücke als Beutegut wegzuführen, daß vielmehr beabsichtigt sei, die Reichskleinodien wieder in den Besitz der österreichischen Regierung zu überführen. Dagegen konnte ich nichts einwenden, und damit war für mich der letzte Grund weggefallen, die genaue Lage des Verstecks länger zu verheimlichen." (31)

 

In einem  Bericht von 1972 ergänzt Fries:

"Art der Verhandlung hart wie eben zwischen Siegern und Besiegten. Physische Belästigungen sind nicht vorgekommen." (32)

 

Am 6. August, dem 139. Jahrestag der Niederlegung der Reichskrone in Wien, wurde Dr. Fries nach Nürnberg zurückgebracht, Stadtrat Schmeißner, über dem ebenfalls der Verdacht lag, die Reichskleinodien für eine nationalsozialistische Widerstandbewegung bereitgehalten zu haben, wurde unter Hausarrest gestellt und die Einholung der verborgenen Reichsinsignien  vorbereitet.

 

Am Morgen des nächsten Tages wurden dann im Beisein  der beiden Stadträte sowie des Kunst - Beauftragten Horn die fünf vermißten Reichsinsignien mit Maurergerät aus ihrem Versteck geholt und in den Kunstbunker zurückgebracht.

 

Schmeißner und Fries wurden wegen falscher Auskünfte an die Beauftragten der US - Armee und wegen Unterstützung einer nationalsozialistischen Widerstandsbewegung  zu je fünf Jahren Gefängnis und 25 000,- Reichsmark Geldstrafe verurteilt.

Schmeißner berichtet:

 

"Dr. Fries und ich wurden nach der Urteilsverkündung sofort verhaftet, zunächst für eine Nacht in das Polizeigefängnis in Fürth und am nächsten Morgen, mit Handfesseln versehen, zu Fuß durch die Stadt Fürth in das dortige Gerichtsgefängnis gebracht.

Aus dem dortigen überfüllten Gefängnis wurden wir nach ca. 10 Tagen in das Zellengefängnis Nürnberg überführt, von dort aus nach ca. 5 Wochen in das Zuchthaus Straubing." (33)

 

Von den fünf Jahren haben beide Stadträte 20 Monate abgebüßt. Die Geldstrafen wurden später niedergeschlagen. Dr. Fries ergänzt:

 

"Während meiner Haftzeit hat meine Frau sich und meine drei Kinder von damals 2, 4 und 8 Jahren unter großen Opfern und Entbehrungen erhalten." (34)

 

Hätte der Nürnberger Stadtrat Dr. Fries im Gefängnis standhaft bleiben sollen? Hätte er trotz Drohungen und Lockungen des Kunstbeauftragten schweigen sollen?

Was aber wäre dann mit der Reichskrone geschehen?

Entweder wäre die Reichskrone schließlich doch noch von den Besatzern aufgefunden worden, oder sie hätte bei einer Besatzungsdauer - welche, wie wir nun wissen, gerade dabei ist, ein halbes Jahrhundert zu überschreiten -   irreparable Schäden erlitten.

 

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