D I E  K R O N E  D E S  R E I C H E S

 

 

                   Maria Schmidt, Der Weg der Reichskrone, Staatsbriefe, 8,1996, S. 18-30
   
                                                                                                                                       

 

 

                                                                                     mariagruettner@hotmail.com

 

 

D I E  N O T

 

Die heutigen Deutschen, nach der Krone ihres alten Reiches befragt, reagieren meist verwirrt:

"Reichskrone? Hatten wir etwa mal ein Königreich? Ich weiß da nicht so recht Bescheid."

Oder sie vermuten Anstößiges:

"Krone des Reiches? Das hat doch wohl nicht etwa mit Adolf Hitler zu tun oder mit den Nürnberger Reichsparteitagen?"

Wenige nur erweisen sich als Kenner und antworten etwa so:

"Da denke ich an Karl den Großen, an die Habsburger, an Wien...."

 

Wie es scheint, hat das Reich mit seiner Krone derzeit keinen Platz im Denken und Trachten des ehemaligen Reichsvolkes, der Deutschen.

Die Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation befindet sich zur Zeit in der  Schatzkammer der Wiener Hofburg. In einem  abgedunkelten Raum, zusammen mit den übrigen Reichskleinodien  sowie mit den Hoheitszeichen des kaiserlichen Österreich liegt unsere 1000- jährige  Krone unter Panzerglas, sichtbar gemacht von einer  dem Betrachter unzugänglichen Lichtquelle. Wer sich die Zeit nimmt, die Krone  genauer anzusehen, mag  seltsam bewegt werden von der altertümlichen Verarbeitung ihres Goldes, ihrer Perlen, ihrer ungeschliffenen Steine. Er mag ergriffen werden von ihrer einzigartigen Gestalt, welche aus dunklen  Fernen herzustammen scheint und gleichermaßen Vertrautes berührt.

 

Der dichte Besucherstrom aber drängt sich ohne merkliche Unterbrechung an der Reichskrone vorbei. Nur Wenige lesen das  kleine beigegebene Schildchen, auf welchem vermerkt ist: "10. Jahrhundert. Westdeutschland" und schauen für eine kleine Weile mit leeren Blicken.

 

Gelegentlich treten historisch vorgebildete  Museumspädagogen auf, gefolgt von den Schwärmen der ihnen Anvertrauten.  Detaillierte  Kenntnisse werden vorgetragen über die viel jüngere österreichische Kaiserkrone, welche sich der letzte Kaiser des Reiches im Jahre 1804 noch zusätzlich aufs Haupt setzte. Der an die Türkensiege erinnernde krönende grüne Stein wird eingehend beschrieben, ebenso die Wappen der Erblande. Sogar des Habsburgers  wird gedacht, welcher sich diese Krone einst als österreichische Hauskrone anfertigen ließ. Anschließend werden dann  die  bereits schläfrig gewordenen Zuhörer in Richtung Reichskrone weitergeschoben. Hier sei noch eine Krone, heißt es. Sie sei nach dem II. Weltkriege aus Nürnberg wieder heimgekehrt. Es sei  eine abendländische, eine christliche Krone, ein hohes Symbol unserer "westlichen Werte". Man könne diese Krone auch eine durch und durch   europäische, eigentlich eine zeichenhaft moderne Krone nennen.

 

Keiner  fragt, ob denn Europa  einmal ein Kaiserreich gewesen sei und ob  die europäische und die österreichische Kaiserkrone etwas miteinander zu tun hätten.  Widerstandslos lassen sich die also Belehrten weiter durch die  Dämmerung der Wiener Schatzkammer treiben.

 

Die aus dem Dunkel schimmernde Krone des Deutschen Reiches aber erscheint unberührt von allem, was sie umgibt.

 

 

 

D E R  G L A N Z

 

Die Reichskrone hat eine  von allen anderen Kronen der Welt verschiedene Gestalt.

Zunächst: Die Krone  ist nicht rund, sondern sie ist achteckig. Statt eines Reifes sind acht oben abgerundete Platten durch Scharniere miteinander verbunden. Warum? Es gibt kaum erläuternde Quellen. Notgedrungen sind die Nachfahren  auf eigenes Nachdenken angewiesen.

 

Das Leben in früheren Zeiten, auch das Leben im Mittelalter, war ein nie endender Kampf gegen Gefahr und Not. Die Menschen suchten daher im Unveränderlichen, im Unzerstörbaren  Sicherheit, z. B. in der Zahl.

In der Vier und in ihrer Zweiheit, der Acht, spürten sie Schutz: Man fühlte sich geborgen in den vier Himmelsrichtungen, in der Wiederkehr der vier Jahreszeiten,  im Zusammenspiel  der vier Elemente. 

Da der Herrscher als der Garant irdischer Sicherheit angesehen wurde, erscheint in der  Umgebung der mittelalterlichen Könige und Kaiser immer wieder die  Acht: Die Aachener Pfalzkapelle Karls des Großen  z. B. bildet ein Achteck, ebenso deren schmiedeeiserne  Leuchterkrone.  Achteckig ist der Grundriß der Stauferburg Castel del Monte in Unteritalien, welche der letzte Staufer Friedrich II. dort errichten ließ.

 

Die einzelnen Platten der Krone sind, wie man einst so klangvoll sagte, aus gediegenem Golde, von Perlen und Edelsteinen durchsetzt. Durchsetzt ist wörtlich zu nehmen: Die Perlen und die Steine sind in ausgesägte Öffnungen eingeschoben und mit Filigran befestigt,  so daß sie im durchscheinenden Lichte wie von innen leuchten.

 

 

Auf vier der acht Platten  sind zusätzlich Emailbilder angebracht.  Zwei der Bilder zeigen alttestamentliche Könige mit lateinischen Spruchbändern   in ihren Händen. Bei König David heißt es: "Der ehrenhafte König liebt den Rechtsspruch",

 

 

bei Salomon: "Fürchte Gott und meide Unrecht."

 

 

Auf dem dritten Bild wird König Hiskia das vom Propheten Jesaja übermittelte Versprechen des Höchsten zuteil: "Wohlan, ich will deinen Lebensjahren noch 15  hinzufügen."

 

 

Auf dem vierten Bilde ist der auferstandene und über dem Weltkreis thronende Christus   von zwei Erzengeln gerahmt. Dazu heißt es in roten Buchstaben auf goldenem Grund:  "Per me reges regnant", ‚Durch mich regieren die Könige.’

 

 

 

Letzte Sicherheit nämlich erwarteten die Menschen einstiger Epochen  aus dem Bereich des Unsichtbaren, von ihren Göttern, von ihrem Gott.  Nur derjenige konnte wirklich Herrscher  sein, der von einem Gott dazu ermächtigt war. Im mittelalterlichen Abendland war es der menschgewordene Gott Jesus Christus.

 

Verschiedene Forscher sehen im Perlen - und Edelsteinschmuck der Krone noch weitere Hinweise auf das Unsichtbare und auf die ordnende Zahl: In der Stirn - und Nackenplatte der Krone stehen jeweils zwölf Steine. Quer durch die Kulturen der Menschheit steht auch die Zwölf für Vollkommenheit in dieser und in jener Welt. Die  zweimal zwölf Steine  könnten beispielsweise für die zwölf Stämme des alten Israel stehen, welches durch das von den zwölf Aposteln gegründete neue Israel abgelöst wurde.  Die Zahl aller Perlen zusammengenommen beträgt 144. 144, 12 mal die 12, ist die Zahl der Auserwählten im himmlischen Jerusalem, dem Vorbild und  Endziel aller Christenheit auf Erden.(1)

 

In den wenigen Quellen über die Reichskrone wird  von einem verloren gegangenen, weiß - rötlichen Stein berichtet, welcher alle anderen Steine an Glanz übertroffen habe. Man nannte den Stein "orphanus", den Waisen. (2)  "Waise" wurde hier nicht im Sinne von "verlassen" gebraucht, sondern in der Bedeutung  von "alleinstehend", d.h.,  "einzigartig in der Welt". In  dem Waisen, so meinte man, sei des Reiches Einmaligkeit und Kraft verborgen.

 

Über die Herkunft des Waisen berichtet die Legende Folgendes:

Der Stiefsohn Kaiser Ottos des Großen, Herzog Ernst, hatte sich durch Aufruhr den Zorn seines Stiefvaters zugezogen. Der Aufrührer flüchtete in den Orient, wo er im Dunkel einer abgründigen Höhle einen leuchtenden Edelstein brach. Er kehrte zurück, um den Kaiser mit dem Geschenk dieses Steines zu versöhnen. Otto verzieh dem Rebellen und setzte den Stein in seine Krone.

In einer der Quellen heißt es:

 

"Ernst der edele wigant

einen stein dar under sach,

den er uz dem felse brach.

der stein gap vil liehten glast." (3)

 

"Ernst dem riche gab den stein,

Der da lichter farbe schein,

Und in des riches crone

Noch hute erluchtet schone." (4)

 

Warum die Legende vom Waisen? Wieder sind wir  auf Vermutungen angewiesen,  etwa auf diese:

Für Menschen des Mittelalters sollte der Herrscher nicht nur mit den Sehnsuchtsbildern des Himmels, sondern auch mit den gefürchteten Tiefen der Erde eine Verbindung haben, um deren bedrohliche Mächte in ihre Schranken zu weisen. Der Stein,   "aller fürsten leitesterne" (5), wie  ihn Walther von der Vogelweide auch nennt, stammt aus den Abgründen der Erde. Wer ihn in seiner Krone trägt, ist dieser Abgründe Herr,  und er weiß somit auch die Abgründe der menschlichen Seele, Hader, Rachsucht und Angst, zu bezähmen.

 

Von christlich ausgerichteten Forschern wird der Waise  auch  mit Christus als dem biblischen "Eckstein"  in Beziehung gebracht oder mit dem edelsteinklaren Leuchten des himmlischen Jerusalem.

 

Seit Ende des Mittelalters wird von dem Waisen nicht mehr gesprochen. Wurde er aus der Krone entfernt? Für den obersten Stein der Stirnplatte ist die Fassung zu groß. Hier könnte der Waise gestanden haben.

 

 

Über der Stirnplatte steht ein goldenes, mit Perlen und Edelsteinen durchsetztes Kreuz, auf dessen Rückseite  der Gekreuzigte abgebildet ist.

Von der Stirnplatte zieht sich zur Nackenplatte  ein goldener Bügel, welcher acht oben gerundete Platten trägt. Diese Platten sind beidseitig mit Perlen eingefaßt und ebenso mit Perlen beschrieben:

CHVONRADVS DEI GRATIA heißt es auf der linken, ROMANORU IMPERATOR AUG auf der rechten Seite. Zu deutsch: Konrad von Gottes Gnaden Kaiser der Römer (und) Augustus.

 

 

 

 

D E R   W E G   V O N   1 0 0 0   J A H R E N

 

H e r k u n f t :

 

Wann und wo wurde die Krone geschaffen? Wer hat sie als erster getragen?

Auch die Herkunft der Krone liegt im Dunkeln. Wir haben auch darüber keine Quellen.

Stammt die Krone, wie es der Bügel nahelegt, von Konrad II. ? Kommt sie ursprünglich aus Burgund oder gar aus Sizilien? Ist sie etwa das Geschenk eines Papstes an einen deutschen Kaiser? Für all diese Annahmen gibt es Belege.

 

Sehr vieles aber spricht auch für die Vermutung, daß die Krone von Otto I., dem ersten Kaiser der Deutschen,  in Auftrag gegeben wurde. (6)

Zu einen: Während die Krone, mit welcher Karl der Große in Rom zum Kaiser gekrönt wurde, anschließend im Besitze des Vatikans verblieb, wird von Otto berichtet, daß er sich zu seiner Kaiserkrönung einen neuen Ornat und neue Insignien (miro ornatu novoque apparatu) anfertigen ließ, welche er nach der Krönung mit über die Alpen nahm. Außerdem: Es gibt eine an die Krone erinnernde Goldschmiedearbeit, das sogenannte Mathildenkreuz, dessen Entstehungszeit man auf die Mitte des 10. Jahrhunderts datieren kann. Und: Auf einem  um 970 hergestellten Elfenbeintäfelchen - heute im Metropolitan Museum, New York! - ist Otto mit einer der Reichskrone ähnelnden Bügelkrone abgebildet.

 

Zum anderen weisen  die beschriebenen Abbildungen auf den ersten Kaiser der Deutschen hin, welcher  weltliche und geistliche Herrschaft noch gleichermaßen ausübte und diese Herrschaften auch für die zukünftigen Herrscher des Deutschen Reiches beanspruchte. (7) Die Mitregentschaftsbestrebungen des Papstes  lagen noch in der Ferne. Der Schöpfer  der Krone nämlich stellte sich einerseits den alttestamentlichen Königen an die Seite, welche man als Priesterkönige verstand;  unter der Krone wurde meist noch eine Mitra, eine Bischofsmütze, getragen. Andererseits sieht sich der Träger der Krone dem oströmischen Kaiser ebenbürtig: Wie dieser allein durch Christus in der Gestalt  des byzantinischen Pantokrators zum Herrschen ermächtigt war, so verleiht Christus auch dem Kaiser der Deutschen seine Macht: ‚Durch mich regieren die Könige’. Von einem Stellvertreter Christi in Rom ist nicht die Rede.

 

Folgt man dieser Auffassung über die Herkunft der Reichskrone, dann hat Konrad  II.  den Bügel   später hinzufügen lassen.

 

Trotz aller Hinweise aber, die für Otto I. als Schöpfer der Reichskrone sprechen, das Geheimnis, welches über ihrer Entstehung liegt, wird wohl niemals ganz aufgehellt werden können. Nur am byzantinischen Vorbild unserer Krone  können kaum Zweifel bestehen. Dazu noch folgende Hinweise:

 

Die Technik der Emailmalerei stammt aus dem damals kulturell  weit überlegenen Byzanz. Die biblischen Könige sind wie byzantinische Würdenträger gekleidet. Auch der byzantinische Kaiser trug in seiner Krone einen "Waisen", einen "orphanos", der die Reichsmacht symbolisierte. In der Sage von Herzog Ernst heißt es, daß der Waise, die Kraft des deutschen Reiches, aus dem Orient gekommen sei. Schließlich erinnert auch der Bügel an die byzantinische Helmkrone.

 

W a n d e r u n g :

 

Das mittelalterliche Reich der Deutschen hatte keinen Ort, an dem es sichtbar werden konnte, keine Hauptstadt, keine Reichsburg. Da es ein Wahlkönigtum war, gab es auch kein durchgehendes Herrschergeschlecht, welches das Reich repräsentierte. Zentrum des Reiches, der Gegenstand, in dem es Sichtbarkeit erlangte, war die Reichskrone. So nannte man die Krone auch "daz riche" und verehrte sie wie eine Reliquie, wie ein heilbringendes, wie ein heiliges Ding.

 

In Aachen und vielfach auch in Rom wurden die deutschen Könige und Kaiser mit der Krone in ihr Amt erhoben. Anschließend mußten sie sich  durch den Besitz der Krone und der dazu gehörenden Reichskleinodien ausweisen können.

 

Die Reichskleinodien, der im Laufe der Zeit anwachsende Reichsschatz oder Reichshort, bestanden aus den Reichsinsignien,  Krone, Zepter, Reichsapfel und Reichsschwert, dem später aus Sizilien hinzugekommenen kaiserlichen Ornat und aus den Reichsreliquien wie z.B.  die heilige Lanze und  das Reichskreuz.

 

Zunächst führten die mittelalterlichen Könige und Kaiser die Reichskleinodien mit sich bei ihren Wanderungen  durch das Reich, und wenn die Zeit gekommen war, mußten jene dann an den jeweiligen Nachfolger weitergegeben werden.

 

Durch das Wahlkönigtum bedingt, war diese Übergabe  oft mit Umwegen verbunden. Zweimal erfolgte sie mit Gewalt. Einmal wurden die Kleinodien einem Toten entwendet: Um sich mit dem Reichsschatz das Königsamt zu sichern, überfiel der spätere Heinrich II. den aus Rom heimkehrenden Leichenzug Ottos III.. Ein zweites Mal war der Beraubte ein alter, wehrloser  Mann: Mit List wurden dem vielgeprüften Heinrich IV. die Zeichen königlicher Würde von seinem eigenen Sohn, dem späteren Heinrich V., entrissen.  Nie aber geschah es, daß die Krone und der Schatz allein aus niedriger Beutegier geraubt oder gar aus purer Zerstörungslust beschädigt wurde.

 

Bald gingen die wandernden Könige dazu über, die Kleinodien in Königsburgen oder  in Burgen ihres Stammlandes zu verwahren. So können Burgen in den  unterschiedlichsten Gegenden des Reiches sich rühmen, die Reichskleinodien beherbergt zu haben: Die Harzburg bei Goslar z. B., Burg Hammerstein bei Andernach, Burg Hagenau im Elsaß, die Waldburg in Schwaben am Bodensee, die Kyburg bei Winterthur. Die längste Zeit befanden sich die Reichsschätze  auf der zu diesem Zweck neu ausgebauten Burg Trifels in der Pfalz, wo heute schön nachgearbeitete Kopien von Krone, Reichskreuz, Zepter und Reichsapfel an diese Zeit erinnern.

 

Karl IV. ließ  zur Aufbewahrung der Reichskleinodien sogar eine eigene Burg bauen, die Burg Karlstein bei Prag. Außerdem brachte er die Reichsschätze mit dem von ihm verehrten Frankenkaiser Karl  in Verbindung, weswegen die Reichskrone seither, historisch unrichtig, auch Karlskrone genannt wird.

 

Seit dieser Zeit wurden einmal im Jahr, an jedem zweiten Freitag nach Ostern, die Reichskleinodien öffentlich ausgestellt. Auf dem Karlsplatz in Prag wurden sie, wie man damals sagte, dem Volke als "Heiltümer" "gewiesen." Dieses "Fest der heiligen Lanze"  war vom Papst, der sich im Gegensatz zum Anspruch der Reichskrone inzwischen längst als geistliches Oberhaupt des Reiches installiert hatte, eingesetzt worden.

 

Die Heiligkeit des päpstlichen Stuhles  wurde durch das Auftreten des böhmischen Magisters Johannes Hus  erstmalig in Frage gestellt. Die Grenzen aber zwischen Reich und Rom  waren seit langem verwischt worden. König Sigismund stand fest zur römischen Kirche und Hus wurde im Jahre 1415 während des Konzils in Konstanz verbrannt. Sein Feuertod   löste die  Hussitenstürme aus. Die Hussiten, welche das Heil des Reiches ohne päpstliche Einmischung anstrebten, versuchten folgerichtig, sich der Reichskleinodien in der Burg Karlstein zu bemächtigen.  Sigismund jedoch gelang es, den Schatz nach Ungarn zu retten. Ungarn aber war fremdes Land. Es war auf die Dauer kein Ort für "daz riche". Abhilfe tat not.

 

 N ü r n b e r g:

 

Stützen des Reiches waren im Spätmittelalter die zu Wohlstand gekommenen Reichsstädte.  Die größte und mächtigste dieser Städte mit den "des Reichsoberhauptes getreuesten Bürgern" war Nürnberg, "des Reiches Mitte", des Reiches Schatzkästlein. (8)

Am 29. September 1423 wurde zwischen Sigismund und den Nürnberger Stadtvätern beschlossen, "unser und des heiligen reichs heiligtum" auf ewige Zeiten, unwiderruflich und unanfechtbar der Stadt Nürnberg anzuvertrauen. (9)

 

So hatte das wandernde Reich in des Reiches Mitte für ewiglich einen Ort gefunden.

Von zwei Nürnberger Abgesandten begleitet, zum Schluß als ein Fischtransport getarnt, trafen am 22. März 1424 die Reichskleinodien mit der Reichskrone in  Nürnberg ein. Über dieses Ereignis schreibt Wilhelm Raabe in seiner Novelle "Des Reiches Krone":

 

"Erst eine Meile vor Nürnberg haben diese Fuhrleute erfahren, welche Ehr und Herrlichkeit sie gewürdigt gewesen seien, und haben sich in freudigem Schrecken von den Rossen in den Staub des Weges niedergestürzt und haben auf den Knien das Heiligtum verehrt. Glocken und Gesang des Volkes! Zinken und Trompeten! Wir sind alle hinausgezogen auf das Gerücht von dem Nahen der Abgesandten und des Schatzes, den sie mit sich brachten. Zu Tausenden und Zehntausenden - Männer und Frauen, Greise und Kinder, sind wir der Krone entgegengegangen: ein größerer Tag ist seit Menschengedenken nicht in  den Chroniken der Stadt verzeichnet worden." (10)

 

In einer zeitgenössischen Darstellung heißt es:

 

"In einem glänzenden Zug werden die Reichskleinodien nach Nürnberg eingebracht. Die Stadt feiert den ganzen Tag. Die Bürger haben sich festlich gekleidet, die Gefangenen, selbst schwere Verbrecher, entläßt man aus dem Gefängnis, und die Leichname der Gehenkten, die sonst lange am Galgen hängen müssen, werden abgenommen, denn die heiligen Reliquien kommen nahe am Hochgericht vorüber, und alle - auch die Hingerichteten - sollen ihrer Gnade teilhaftig werden. Die gesamte Geistlichkeit, der Nürnberger Rat, die ganze Bürgerschaft ziehen in feierlicher Prozession dem Kronschatz durch das Frauentor weit vor die Stadt hinaus entgegen." (11)

 

Noch im gleichen Jahre wurde das Verwahrungsprivileg Nürnbergs durch den Papst bestätigt, welcher sein Mitspracherecht in allen Reichsangelegenheiten hierdurch folgende Einschränkungen zur Kenntnis brachte: Die Kleinodien sollten  in der Kirche des Heilig Geist Spitals verwahrt werden. Die "ewige Zeit" der Verwahrung  solle  enden, wenn die Stadt  vom rechten Glauben abfalle.

 

Die Heiltümer, wie die Reichskleinodien auch in Nürnberg genannt wurden, verwahrte man in einem "Versperr" über der Sakristei der Heilig Geist Kirche, die Krone gesondert in einer schwarzen Truhe. Die Schlüssel zum Versperr hüteten die drei Losunger. Das waren die höchsten Beamten der Stadt. Um eventuellen Gästen die Heiltümer in einem würdigen Rahmen weisen zu können, wurde der Innenraum der Kirche neu ausgemalt. Für zwei der Reichsreliquien, für die heilige Lanze und das Reichskreuz, wurde ein gold - silberner, mit Nürnberger Wappen geschmückter Behälter angefertigt, der sogenannte "Heiltumsschrein". Dieser hing vor dem Altar der Kirche an Ketten, damit man die auf seinem Boden abgebildeten, von zwei Engeln gehaltenen Heiltümer betrachten konnte.

 

Als Höhepunkt im Nürnberer Jahresablauf wurden die öffentlichen "Weisungen" der Reichsheiltümer fortgesetzt, gefolgt von einer 14tägigen für das Wohl der Nürnberger Kaufherren  veranstalteten  Handelsmesse.

 

Die Weisungen verliefen so:

"Absperrungen verhinderten ein wahlloses Ausschwärmen der Menschenmenge über den Platz, regelten den Ablauf. Alle Türme waren besetzt, um Unruhen innerhalb der Stadt und Gefahren von außen beobachten und unter Kontrolle bringen zu können. Vor dem Schopperschen Haus, in das am Tage zuvor die Reichskleinodien gebracht worden waren, stand ein prachtvoll verkleidetes hölzernes Gerüst, das zu diesem Zweck errichtete tabernaculum oder der Heiltumsstuhl. Auf der Empore, die mit einem Fenster des Schopperschen Hauses, das als Durchreiche benutzt wurde, in Verbindung stand, versammelte sich eine Reihe ausgewählter Personen, darunter die Herren Älteren des Rates, die Pfarrer der Nürnberger Hauptkirchen St. Sebald und St. Lorenz und selbstverständlich, wenn er der Weisung beiwohnte, der Kaiser. Gewöhnlich zelebrierte der Abt von St. Ägidien die Messe. Dann erfolgte die Weisung in drei Umgängen. Zunächst wurden in einer bestimmten Reihenfolge die Reliquien vorgeführt, die an die Kindheit des Herren erinnerten, darunter der Span der Krippe, das Armbein der hl. Anna und der Zahn Johannes' des Täufers, dann die Reliquien Karls des Großen, zuletzt die Reliquien, die vom Leiden Christi zeugten, darunter die Heilige Lanze und das Reichskreuz, dazu die päpstlichen Ablaßbriefe. Der Heiltumsschreier, ein durch Kraft und Schönheit der Stimme ausgezeichneter Geistlicher, begleitete die Weisungen mit Erklärungen, die er von dem sogenannten Schreizettel ablas.....Den Abschluß der Weisung bildeten jeweils die Fürbitten für die ganze Christenheit, für die  Einheit der Kirche und des Reiches, für den verstorbenen Kaiser Sigismund und schließlich für alle Fürsten, Herren, Städte, für das ganze Volk und für den Rat der Stadt Nürnberg. Nun empfingen alle Gläubigen mit dem Heiligen Kreuz den Segen." (12)

 

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts gaben die Nürnberger Stadtväter für den Raum im Schopperschen Hause, in welchem die Heiltümer zur Zeit der Weisungen aufbewahrt wurden, für die  sogenannte "Heiltumskammer", zwei Bilder in Auftrag. Die Darstellungen Kaiser Sigismunds und Karls des Großen sollten den  Rang der Reichsstadt Nürnberg für jedermann anschaubar machen.

 

Der beauftragte Maler Albrecht Dürer versah den damals als Reichsgründer verehrten Kaiser Karl mit Reichsapfel, Reichsschwert und mit der achtplattigen perlen-, bild- und edelsteingeschmückten Krone.

Auf dem Rahmen des Bildes steht geschrieben:

 

"Dis ist der gestalt und biltnus gleich

Kaiser Karlus, der das Remisch reich

Den Teitschen under tenig macht

Sein kron und klaidung hoch geacht

Zaigt man zu Nurenberg alle jar

Mit andern haltum offenbar." (13)

 

Versuche, den Nürnbergern das Hüterecht des "Reiches" streitig zu machen, vor allem, Bemühungen der  Habsburger,  sich der Krone und der Reichskleinodien zu bemächtigen, wurden sämtlich vom Ort der "ewigen Verwahrung" erfolgreich abgewehrt. Nur zu den Krönungen der deutschen Könige und Kaiser,  von Nürnberger Gesandten begleitet und geschützt, verließen die Reichsheiltümer die Mauern der Stadt. Die Nürnberger Gesandten hatten sogar das Recht,  während der Krönungen die Insignien darzureichen. Den Habsburgern blieb lediglich, ihre Kaisersarkophage in der Wiener Kapuzinergruft mit Abbildern der Reichskrone zu versehen.

 

Im Jahre 1523 geschah dann das, wofür der Papst schon ein Jahrhundert früher  Vorkehrungen hatte treffen wollen: Die Stadt Nürnberg fiel von dem einen Glauben ab. In das Heilig Geist Spital zog der Protestantismus ein. Das Verwahrungsrecht der Reichskleinodien hätte sich nach päpstlicher Vorstellung damit erledigen sollen. Es zeigte sich aber, daß trotz aller  Bemühungen das Reich sich nicht vollständig mit den Herrschaftsvorstellungen der römischen Kirche deckte. In Nürnberg verwies man darauf, daß das Heilig Geist Spital eine städtische Gründung sei, über welche der Papst nicht zu verfügen habe. Diesen Umstand  nämlich hatte der Papst vor 100 Jahren übersehen.  Unter Beibehaltung der Handelsmesse  wurden lediglich  die   Weisungen der Reichsheiltümer  eingestellt. Der Reichsschatz behielt seine Ruhe, und die Krone des Reiches blieb für die Deutschen das, was sie immer gewesen war: das heilbringende Zentrum des Reiches.

 

372 Jahre lang hatte die Reichskrone in Nürnberg, in des Reiches Mitte, ihren  Ort.

 

W i e n :

 

 " Hochsommer 1796. Die Tage sind drückend schwül und voller Unruhe und die Nächte voller Gefahren. Die Kriegsfurie rast über das Land. Zügellose Horden der französischen Revolution ziehen sengend und plündernd durch Franken. Nürnbergs Rat und Bürgerschaft erwartet stündlich den Einzug der Soldateska in die Stadt. Die wilden Gesellen kommen schneller als erwartet...

 

In der Nacht zum 9. August geschieht in Nürnberg etwas Merkwürdiges: In der Nähe der Heiliggeistkirche hält ein mit Mist beladener Bretterwagen. Bevor noch der Fuhrmann sich anschickt, sein Gefährt zu entladen, treten aus der Kirchenpforte Männer, die sorglich umhüllte Kisten und Kasten tragen. Der Fuhrmann nimmt eine Truhe nach der anderen schweigend in Empfang und vergräbt sie in seiner Ladung. Niemand in der Nachbarschaft hat von diesem seltsamen Treiben etwas bemerkt. Beim Morgengrauen fährt der Wagen dann polternd zum Hallertor hinaus. Die Torwächter lassen Fuhrmann und Fuhre unbeanstandet passieren. Wer wird sich auch bei einer Ladung Mist aufhalten.

 

Für die Eingeweihten aber - es war nur ein kleiner Kreis von mutigen und deutsch gesinnten Männern - treten damit die Reichskleinodien, die in Nürnberg vier Jahrhunderte lang eine Heimstatt hatten, ihre Reise ins Ungewisse an.

Noch am Mittag des gleichen Tages, am 9. August, reitet der Franzosen General

J o u r d a n  mit seinem Gefolge in die alte Reichsstadt ein. Er begibt sich, kaum angekommen, sofort zur Heiliggeistkirche, denn hier werden, so weiß er, die "K l e i n o d i e n  d e s  H e i l i g e n   R ö m i s c h e n        R e i c h e s      d e u t s c h e r 

N a t i o n" aufbewahrt sein. Alles Dinge von unschätzbarem materiellen und seelischen Wert; seltene Reliquien, die aus der Zeit der Anfänge des Christentums in Deutschland stammen sollen, uralte Waffen und Schmuckgeräte aus Silber und Gold und mit kostbaren Edelsteinen besetzt. Wirklich, da hängt auch der Heiltumsschrein an einer Kette vom Chorgewölbe herab und schwebt über dem Hochaltar. Aber die Truhe ist leer, alle Kostbarkeiten sind verschwunden.

 

Und kein Fluchen und kein Drohen können sie wieder herbeischaffen. Die Fuhre aber rollt inzwischen auf sicheren Pfaden ein gutes Stück gegen Böhmen zu nach Prag." Von Prag führte "Ein Abgesandter vom Regensburger Reichstag....den Schatz dann nach Regensburg." (14)

 

So wird nach fast anderthalb Jahrhunderten, am Tage, da die Reichskleinodien wieder nach Nürnberg heimkehrten, in der "Nürnberger Zeitung" berichtet. War es so? Oder handelt es sich um eine der vielen, den Weg der Reichskleinodien begleitenden  Legenden? Ist es vielleicht eine Erzählung, die dem Fischtransport von 1424 nachgestaltet wurde? Das ist wieder eines der nicht lösbaren Rätsel um die Reichskleinodien. Tatsache jedenfalls ist, daß die Nürnberger Stadtväter beim Herannahen der französischen Revolutionstruppen ihrem Verwahrungsauftrag gemäß verfuhren: Der Nürnberger Oberst Johann Georg Haller wurde mit der Flüchtung der Reichskleinodien betraut, welche schließlich dem kaiserlichen Kommissarius am immerwährenden Reichstag in Regensburg, dem Freiherr Johann Aloys Josef von Hügel, übergeben wurden. Der Aufenthalt der Reichskleinodien außerhalb der Mauern Nürnbergs sollte jedoch nur vorübergehend sein.  Sowohl Hügel als auch der derzeitige Kaiser Franz II.  garantierten den Nürnbergern die sofortige Rückaushändigung der Reichskleinodien nach Beendigung der Gefahr.

 

Wenig später war der Reichsschatz auch in Regensburg nicht mehr vor Napoleons Truppen sicher. Ohne Wissen und Zustimmung der Nürnberger transportierte der kaiserliche Konkommissarius die Schätze über Passau nach Wien, wo sie am 9. Oktober 1800 der kaiserlichen Schatzkammer übergeben wurden.

 

Damit war die Krone nun wieder wie einst im Mittelalter in den Händen des Kaisers.

Der Druck des Feindes auf das Reich aber wuchs, der Druck auf den Kaiser und auf diejenigen, welche Kaiser und Reich noch immer die Treue hielten.

 

Im Jahre 1803 wurden auf Betreiben Napoleons und im Widerspruch zur Reichsverfassung (15)  die meisten der reichstreuen Territorien wie Bistümer und Reichsstädte den Landesfürsten zugeschlagen,  denjenigen, denen die eigene Machtentfaltung schon immer mehr als die Einheit des Reiches bedeutet hatte.  An Nürnberg war der Kelch der Reichsmittelbarkeit noch einmal vorübergegangen. Noch.

 

Im Mai des folgenden Jahres teilte der kaiserliche Konkommissarius Hügel den Nürnbergern  den derzeitigen Aufenthalt des Reichshortes mit, unter nochmaliger Zusicherung der baldmöglichsten Rückführung.

 

War das ernst gemeint? Unter dem Druck der Verhältnisse hatte man in Wien das Reich schon lange aufgegeben und trachtete nur noch danach, wenigstens die eigene Hausmacht zu retten. Franz II., welcher schon vor acht Jahren versichert hatte, er werde, falls es ihm Vorteile bringe, auf die Reichskrone verzichten (16), setzte sich am 11. August des Jahres vorsorglich die Krone eines erblichen österreichischen Kaisers  aufs Haupt. Es war diejenige Krone, welche sich derzeit in der Wiener Schatzkammer all der beschriebenen Huldigungen erfreut. Die Reichsverfassung war damit nun endgültig und für alle Welt sichtbar außer Kraft gesetzt, denn in  e i n e m  Reich kann es nur e i n e n  Kaiser geben und nicht zwei, auch nicht, wenn beide Kaisertitel auf einer Person vereinigt sind.

 

Wenige Monate später hatte sich  die Zahl der abendländischen Kaiser   noch um einen weiteren erhöht: Am 2. Dezember versah sich auch Napoleon mit kaiserlicher Würde. Da er  wegen der Umsicht der Nürnberger nicht in den Besitz der Reichskrone gekommen war und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ja der Form nach noch bestand, blieb dessen weiteres Schicksal zunächst noch offen. Der Sieg über Österreich vom 2. Dezember 1805 brachte dann Klarheit: Im darauf folgenden Frieden  zu Preßburg sprach Napoleon nicht mehr vom Deutschen Reich, sondern  vom "Deutschen Bund". Im Juli des kommenden Jahres wurden 16 deutsche Staaten per Ultimatum gezwungen, aus dem Reich auszutreten und sich dem französischen Kaiser zu unterstellen. Einigen dieser sogenannten Rheinbundstaaten wurden zur Besänftigung des Gewissens noch kleine Aufmerksamkeiten zuteil. Im Artikel 17 der Rheinbundakte bekam eine in Preßburg frisch erschaffene Majestät, der König von Bayern,  die Stadt Nürnberg und deren Gebiete mit allen Eigentums- und Souveränitätsrechten zugesprochen.  Das war das Ende der viele hundert Jahre währenden Nürnberger Reichsfreiheit. Noch bevor die Rheinbundakte vom Restreichstag in Regensburg sanktioniert worden war, stellte Napoleon  Franz II. unter Androhung der Wiederaufnahme militärischer Handlungen das Ultimatum, bis spätestens zum 10. August des Jahres die Reichskrone niederzulegen.

 

Selbst, wenn Franz II. es gewollt hätte, es wäre ihm nicht möglich gewesen, gegen Napoleons Willen auf der Krone des sich bereits in Auflösung befindenden Reiches zu bestehen. Die bloße Niederlegung der wieder einmal nach Ungarn ausgelagerten Reichskrone aber  hätte Napoleon die Möglichkeit gelassen, Wege zu ihr zu finden, um damit seinem selbsterschaffenen Kaisertum ein Fundament zu verleihen, um sie sich als eine West- und Ostfranken vereinende Karlskrone schließlich doch noch selbst auf sein schon vorgekröntes Haupt zu setzen. Das wenigstens sollte verhindert werden. So legte Franz II. am 6. August 1806  nicht nur für seine Person die Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nieder. Auf den Rat seines Außenministers Graf von Stadion erklärte er, ohne jedoch durch die verbliebenen Reichsgremien dazu befugt zu sein, gleichzeitig dieses Reich für aufgelöst:

 

"Wir entbinden zugleich Churfürsten, Fürsten und Stände und alle Reichangehörigen, insonderheit auch die Mitglieder der höchsten Reichsgerichte und die übrige Reichsdienerschaft, von ihren Pflichten, womit sie an uns als das gesetzliche Oberhaupt des Reiches, durch die Constitution gebunden waren. Unsere sämtlichen deutschen Provinzen und Reichsländer zählen wir dagegen wechselseitig von allen Verpflichtungen, die sie bis jetzt, unter was immer für einem Titel, gegen das deutsche Reich getragen haben, los..." (17)

 

Die  herrenlos gewordene Reichskrone mit den erledigten Reichskleinodien sollte nach Meinung Stadions  "als Antiquitäten" in Wien (18) verbleiben, und der nunmehr seines Amtes entkleidete kaiserliche Konkommissarius Hügel wendete es im Gegensatz zu seinen früheren Versprechungen  so:

 

"Von der Kayser Krone und den Reichs Insignien ... wird entgegen gehend nicht zu erwehnen, sondern auf Beybehaltung dieser wichtigen und kostbaren Althertümer zum ewigen Andenken die Absicht zu richten, und abzuwarten seyn, ob eine Anforderung von irgendeiner Seite eintreffen werde". (19) Abwarten also und schweigen.

 

1814 war die Gefahr gebannt, der Druck, unter dem  die Reichsverfassung  untergraben, das Reich  schließlich vom Kaiser als aufgelöst erklärt worden war, dieser Druck einer feindlichen Übermacht war beseitigt. Die Reichsvertreter, welche in Wien zusammengekommen waren, hätten das suspendierte aber nicht wirklich aufgelöste Reich in seiner alten Form wieder aufrichten können. Obwohl Pläne in diesem Sinne vorgelegt wurden, haben die Reichsvertreter das Reich  nicht wieder hergestellt. Sie haben damit das von Napoleon erzwungene Unrecht zu Recht erklärt und so die eigentliche und endgültige Auflösung des ersten Deutschen Reiches vollzogen. Das Kaiserreich Österreich, das Königreich Bayern zusammen mit all den  durch Napoleon gestärkten Territorien waren an einer erneuerten Unterordnung unter die Reichskrone nicht mehr interessiert. Das Gift, welches der Feind ausgestreut hatte, das Reich auseinander zu treiben, war   zu süß, als daß man seiner ohne Not wieder hätte entbehren wollen. Es blieb dabei, was Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Erfolge schon festgelegt hatte: Das Deutsche Reich war zum Deutschen Bund herabgekommen.

 

Was sollte nun mit den in Wien bis auf Weiteres als Altertümer einbehaltenen Reichskleinodien geschehen? Darüber war während des Wiener Kongresses nichts gesagt worden. So bestand das Recht Nürnbergs auf die Verwahrung des Reichshortes  fort und konnte seither auch nie juristisch fundiert bestritten werden.  Mit Auflösung des Reiches  nämlich erhielt die Urkunde Kaiser Sigismunds, "welche von der Verwahrung der Reichsinsignien 'auf ewige Zeiten' (in Nürnberg) spricht, einen realen Aussagewert: wenn auch das Reich untergeht, so soll doch die Aufbewahrung des Reichshortes in Nürnberg Bestand haben. Allein damit konnte einer Auflösung bzw. Verschleuderung des Kronschatzes vorgebeugt werden." (20)

 

Daran konnte auch die Mediatisierung Nürnbergs, die Einbeziehung in das bayerische Königreich, nichts ändern:

 

"Die tradierten Privilegien und Gerechtsamen der ehemaligen Reichsstädte konnten .... (auch nach der Mediatisierung) insoweit Bestand haben, als sie der Souveränität des Staates, auf den sie übergegangen waren, nicht widersprachen." So überlebten  "jene Gerechtsame, welche dem landesherrlichen Souveränitätsanspruch nicht entgegenstanden, ... das Ende der auf den reichsunmittelbaren Status gegründeten städtischen Eigenstaatlichkeit. Zu diesem 'dauerhaften' Privilegienstand zählte aber auch das Verwahrungsrecht der Stadt Nürnberg hinsichtlich der Reichsinsignien,.." (21)

 

So dauerte es nicht lange, bis sich Nürnberg seiner Rechte und Pflichten bezüglich der Reichkrone und der Reichskleinodien wieder entsann. In  regelmäßigen Abständen sprachen nun die Nürnberger Stadtväter in Wien vor, um ihre Ansprüche anzumelden. Es sprengte den Rahmen dieser Darstellung, all die Ausreden und Absagen aufzuzählen, mit denen die Nürnberger belehrt wurden, daß mit einem Recht ohne Macht, es durchzusetzen, nicht viel anzufangen ist in dieser Welt. Weder der Kaiser von Österreich noch der König in Bayern hatten ein Interesse daran, sich der Reichskrone zu erinnern und die Kleinodien des alten Reiches wieder in des "Reiches Mitte" zu wissen.

 

Der Kaiser von Österreich und der König in Bayern wurden hingegen nach einer Zeit ebenfalls  belehrt, nämlich, daß  Macht ohne Recht kein dauerhaftes Ding ist auf Erden. Im Revolutionsjahre 1848 verlangte die Wiener Delegation für das Frankfurter Vorparlament, die Reichsinsignien mitzunehmen, um einen neuen deutschen Kaiser damit zu krönen. Da bedurfte es in der Hofburg schon sehr schwieriger Winkelzüge, um den Revolutionären eine Absage zu verdeutlichen.

 

Ab 1866 war das Kaiserreich Österreich dann allein.

 

Wenige Jahre später gab es auf deutschem Reichsboden  einen zweiten Kaiser, mit dem sich sowohl die Österreicher als auch  die Bayern arrangieren mußten.

Das preußische Kaiserreich  verstand sich jedoch nicht als Fortsetzung des alten, übernational bestimmten Reiches.

In einem 1872 erschienenen Büchlein, "Die Atribute des neuen dt. Reiches" heißt es:

 

"Im staatsrechtlichen Sinne ist das Reich, die Kaiserwürde von 1871, eine völlige Neuschöpfung. Es wäre eine bedenkliche Verirrung, wenn man unser nationales Kaiserthum vom 18. Januar 1871 als eine staatsrechtliche Fortsetzung des am 6. August 1806 zu Grabe getragenen Römischen Kaiserthums ansehen wollte." (22)

 

So trug  Kaiser Wilhelm I.  seine eigene Krone. Die Preußen sahen keinen Anlaß, die Nürnberger Forderungen nach Rückkehr der Reichskleinodien zu unterstützen. Zur Erleichterung der  abgedrängten Österreicher blieb die Reichskrone samt Schatz weiterhin in Wien, wo man sich nun der Vorstellung hingeben konnte, im Grunde doch der wahre Erbe des alten, zu Grabe getragenen Reiches zu sein. 

 

Im preußischen Kaiserreich erinnerte man sich nur ganz nebenbei daran, daß es schon einmal ein Reich mit einer fast 1000-jährigen Krone gegeben habe. Dazu drei Beispiele: Der steinerne, berittene Kaiser zu Koblenz wird von einem kleinen Genius begleitet, welcher die Reichskrone mit sich trägt. Im Gitter einer Berliner Brücke wird man von  der schmiedeeisernen Form der Reichskrone überrascht. Im Niederwald bei Bingen hält die  Germania die Reichskrone in der erhobenen Hand.

 

Auch  das preußisch - österreichische Doppelreich fiel seinen Feinden zum Opfer. Am Ende des I. Weltkrieges wurden beide Kaiser von den Siegern zur Abdankung gezwungen. Die verbliebenen Reichsteile Deutschland und Deutsch - Österreich wurden gewaltsam voneinander getrennt und zur Gründung von zwei verschiedenen Republiken veranlaßt. Das alte Reich, die Reichskrone, das Recht der Nürnberger, alles schien so gut wie vergessen.

 

Das Reich aber ist mehr als seine jeweilige Form. Es hat eine Komponente, die durch Feindesgewalt nicht zerstört werden kann.

 

Im Jahre 1930 sagte der Hüter des Reichsschatzes in Wien, der Schatzmeister der Wiener Hofburg, Dr. Arpad Weixlgärtner:

 

"Wir 'Kronenwächer', die wir die deutschen Reichskleinodien bewachen und dies weder für einen Habsburger noch für einen Hohenzollern, sondern für das gesamte deutsche Volk tun, würden sie mit Jubel ans Deutsche Reich zurückstellen - aber nur zusammen mit unserer alten deutschen Kaiserstadt Wien und unserer noch älteren deutschen Ostmark". (23)

 

Im Jahre 1933 erhielt das Reich wieder eine neue Gestalt. Am 13. März 1938 wurde Deutsch-Österreich   unter dem Jubel der Österreicher mit dieser neuen Form des Reiches vereint.

 

N ü r n b e r g :

 

 Es war für den damaligen Nürnberger Oberbürgermeister Willy Liebel nun nicht schwer, den Führer zur Rückführung der seit 142 Jahren widerrechtlich in Wien einbehaltenen Reichskleinodien zu veranlassen. Um den Jubel der Wiener über den Reichsanschluß aber nicht unnötig zu unterbrechen, wurden die Reichskleinodien wieder einmal unter Ausschluß der Öffentlichkeit transportiert. Zwar mußten sie nicht mehr mit Fischen oder mit Mist getarnt werden.  In der Nacht vom 29. zum 30. August des Jahres 1938 reisten sie in einem geheimgehaltenen Sonderzug zurück zum Ort ihrer ewigen Verwahrung.

 

Am 5. September wurden dann zum Empfang des Führers die wichtigsten Reichsinsignien  erstmals im Nürnberger Rathaussaal ausgestellt. Der Fränkische Kurier schreibt:

"Der 600 - jährige große Rathaussaal mit den herrlichen Fresken nach Entwürfen Albrecht Dürers ist ohne Schmuck geblieben, und nur ein schmaler Saum roter Nelken auf der Holzvertäfelung und große Kübel leuchtender Gladiolen in den Fensternischen sind mit den schimmernden Kerzen auf den Kandelabern der schlichte Zierat.

Blickpunkt des Saales ist ein hoher Glasschrein an der Stirnseite. Er birgt die äußeren Zeichen deutscher Macht und Herrlichkeit, die Reichssymbole, Krone, Zepter, Reichsapfel und Schwert, die nun, nach der Schöpfung Großdeutschlands, in des Reiches Mitte zurückgekehrt sind." (24)

 

Am folgenden Tage wurden die Reichskleinodien in der Katharinenkirche, dem ehemaligen Versammlungsort der Meistersinger, der Öffentlichkeit übergeben. In der Frankfurter Zeitung, Vorläuferin unserer Frankfurter Allgemeinen, heißt es:

 

"Versteckt in den Gassen der alten Stadt, von Bäumen umschattet, steht nicht sehr weit von St. Lorenz der Katharinenbau. Hier war es, wo sich in der Katharinenkirche die Meistersinger zu versammeln pflegten. Vom heutigen Tage an wird die ehrwürdige Meistersingerkirche ein politischer Wallfahrtort aller Deutschen sein, denn seit heute stehen in ihr zur Schau aus die Insignien und Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Nicht, daß sie hier gesehen werden können, ist das Ereignis, sondern daß sich mit dieser Überführung an den Ort, der sie jahrhundertelang gehütet hat, ein Ring der Geschichte schließt.

 

Eine kleine dreischiffige, gotische Kirche mit flachen Holzdecken, die schon seit langem nicht mehr zum Gottesdienst benutzt wird. Altäre und Fenster fehlen, die Fenster im Chor sind vermauert....Auf zehn Vitrinen sind die Stücke der Insignien und Kleinodien verteilt....  Zauber und Glanz gehen von ihnen aus....Magisch zieht im mittleren Schrein unter dem Chorbogen die K r o n e  den Besucher auf sich. Ihr Reif ist aus acht Platten, über die sich nach hinten ein Bügel legt.

Vorn krönt sie ein Kreuz..." (25)  

 

Liebel sagte in seiner Ansprache:

 

"Aufs tiefste bewegt von der wahrhaft historischen Größe dieses geschichtlichen Augenblicks, dessen schicksalhafte Bedeutung für die alte Reichsstadt Nürnberg noch kaum absehbar erscheint, nehme ich als Oberbürgermeister dieser Stadt...die Reichsinsignien und Reichskleinodien des alten Deutschen Reiches ehrfurchtsvoll entgegen...Nach dem Willen des Führers wurden sie nun zurückgebracht an ihren einstigen geschichtlichen Verwahrungsort, in die alte Reichsstadt Nürnberg,...die im großdeutschen Reich nun wiederum zur "Stadt in des Reiches Mitte" geworden war." (26)

 

Ein Jahr lang verbreiteten die Reichskleinodien in der Nürnberger Katharinenkirche  Freude und Stolz:

"In der Herkunft und Bedeutung der Insignien spiegelt sich ein bester Teil unserer Geschichte, reich an Stolz und reich an Bitterkeit. Daß diese Erinnerungen sich jetzt wieder an würdiger Stelle dem deutschen Volk darbieten, mag für unser Bewußtsein von dauernder Bedeutung sein." (27)

 

Dann formierte sich die Front der Reichsfeinde aufs Neue. Ihres Verwahrungsauftrages eingedenk, brachten die Nürnberger  die Reichsheiltümer mit Kriegsbeginn in den Tresor eines Bankhauses. (28) Am 23. Februar 1940 lagerte man die Reichsschätze in einen speziell für Kunstwerke eingerichteten Luftschutzbunker unter der Nürnberger Kaiserburg ein. Der Direktor der städtischen Kunstsammlungen sorgte für Schutz vor Motten und Rost. Im Oktober 1944 wurde Nürnberg von alliierten Bombern schwer angegriffen. Am 2. Januar des folgenden Jahres wurde die Nürnberger Altstadt, des Reiches Schatzkästlein, in ein Ruinenfeld verwandelt.  Man mußte mit der Besetzung der Stadt rechnen. Da das Reich diesmal rings von Feinden umgeben war, blieb eine Flüchtung der Reichskleinodien wie in den Tagen Napoleons ausgeschlossen. Das "Reich" mußte in Nürnberg selbst verborgen werden. Ein Nürnberger Stadtrat schreibt:

 

"Auf Weisung des Oberbürgermeisters Liebel wurden damals Kupferbehälter für Krone, Reichsapfel, Zepter und die zwei Schwerter durch einen Nürnberger Kupferschmied angefertigt.

Als der Wehrmachtbericht vom 29. März 1945 meldete, dass amerikanische Panzerspitzen bis in den Raum Gmünden/Hammelburg vorgeprellt waren, konnte es für den Einsichtigen nur eine Frage der Zeit sein, wann Nürnberg Kampfgebiet werden würde. Der Oberbürgermeister liess die 5 erwähnten Stücke der Kleinodien sorgfältig in Glaswolle verpacken, in die Kupferbehälter einlegen und diese verlöten. Am 31. März wurden diese Behälter mit ihrem Inhalt aus dem Burgbergbunker geholt und in das Felsenlabyrinth unter dem Paniersplatz gebracht. Sie wurden in Anwesenheit des Oberbürgermeisters Liebel, des städtischen Luftschutzdezernenten Dr. Konrad Fries, des Hochbaudezernenten Heinz Schmeissner und des Denkmalspflegers der Stadt, Oberbaurat Julius Lincke in einer Nische dieses Kellers eingemauert. Fremde Hiflfskräfte waren dabei nicht tätig." (29)

 

Wie zur Zeit der Verwahrung allein  drei Losunger der Stadt Zugang zum "Versperr" der Reichskleinodien hatten, wie einst nur wenige um die Flüchtung des Reichshortes vor Napoleon wußten, so waren es jetzt nur vier Nürnberger Stadträte, die von dem Bergungsort der fünf wichtigsten Reichsinsignien Kenntnis hatten.

 

Um die Geheimhaltung sicherzustellen, wurde noch zusätzlich ein Täuschungsmanöver veranstaltet.

"Anstelle der eigentlich erwarteten Abholung (der Reichskleinodien aus dem Kunstbunker) durch Beauftragte einer Reichsstelle wurden etwa am 5. April als Scheinmanöver 2 leere Kisten aus dem Verwahrungsraum obere Schmiedegasse (das war der Kunstbunker)  ausgebracht und durch ein SS-Auto abgefahren. ...

Die Träger des Geheimnisses  verpflichteten sich, bei Anfragen nach dem Verbleib der Reichskleinodien die Aussage zu machen, daß sie zu einem uns unbekannten Ort abgefahren wurden." (30)

 

Nach heftigem Widerstand der Nürnberger rückten die Amerikaner am 20. April 1945  in die Ruinen der Stadt ein und feierten hier ihre Siegerparade. Oberbürgermeister Liebel war bei den Kämpfen gefallen. Wie einst der General  Napoleons hatten auch die derzeitigen Eroberer den Auftrag, sich als Krönung ihres Sieges der Reichskrone und der Reichsheiltümer zu bemächtigen. So wurde bei der Inspektion des Kunstbunkers  das Fehlen der Reichskrone und der anderen vier  Insignien sofort bemerkt.  Ein durch das Täuschungsmanöver bedingtes  Gerücht, diese seien  im Zeller See versenkt worden, erschien unglaubhaft. Die Suche nach der Reichskrone begann. Ein Spezialbeauftragter wurde eingesetzt. Es war der deutsche, in die USA emigrierte Kunsthistoriker Walter Horn, welcher als neu ernannter "Art - Intelligence - Officer" für diesen Auftrag  die besten Voraussetzungen mitbrachte.  In Gefangenenlagern verhörte er sich an die  "Losunger" Nürnbergs heran. Oberbürgermeister Liebel aber war tot. Julius Lincke war nicht auffindbar. Es blieben Heinz Schmeißner und Dr. Konrad Fries. Beide berichteten verabredungsgemäß  von der Verbringung der fehlenden Insignien an einen ihnen unbekannten Ort.

 

Dr. Fries wurde darauf verhaftet und in den Frankfurter Raum gebracht. Wie er berichtet, wurde ihm nach einer Nacht Einzelhaft vom Kunstoffizier Horn eröffnet, "daß die amerikanische Besatzungsmacht berechtigte Gründe für die Annahme zu haben glaubte, daß die versteckten Hauptstücke der Reichskleinodien die Symbole einer künftigen nationalsozialistischen Widerstandsbewegung werden sollten."

 

Es wurde ihm aber  "zugesichert, daß die amerikanische Besatzungsmacht nicht die Absicht habe, die Reichskleinodien einschließlich der fehlenden Stücke als Beutegut wegzuführen, daß vielmehr beabsichtigt sei, die Reichskleinodien wieder in den Besitz der österreichischen Regierung zu überführen. Dagegen konnte ich nichts einwenden, und damit war für mich der letzte Grund weggefallen, die genaue Lage des Verstecks länger zu verheimlichen." (31)

 

In einem  Bericht von 1972 ergänzt Fries:

"Art der Verhandlung hart wie eben zwischen Siegern und Besiegten. Physische Belästigungen sind nicht vorgekommen." (32)

 

Am 6. August, dem 139. Jahrestag der Niederlegung der Reichskrone in Wien, wurde Dr. Fries nach Nürnberg zurückgebracht, Stadtrat Schmeißner, über dem ebenfalls der Verdacht lag, die Reichskleinodien für eine nationalsozialistische Widerstandbewegung bereitgehalten zu haben, wurde unter Hausarrest gestellt und die Einholung der verborgenen Reichsinsignien  vorbereitet.

 

Am Morgen des nächsten Tages wurden dann im Beisein  der beiden Stadträte sowie des Kunst - Beauftragten Horn die fünf vermißten Reichsinsignien mit Maurergerät aus ihrem Versteck geholt und in den Kunstbunker zurückgebracht.

 

Schmeißner und Fries wurden wegen falscher Auskünfte an die Beauftragten der US - Armee und wegen Unterstützung einer nationalsozialistischen Widerstandsbewegung  zu je fünf Jahren Gefängnis und 25 000,- Reichsmark Geldstrafe verurteilt.

Schmeißner berichtet:

 

"Dr. Fries und ich wurden nach der Urteilsverkündung sofort verhaftet, zunächst für eine Nacht in das Polizeigefängnis in Fürth und am nächsten Morgen, mit Handfesseln versehen, zu Fuß durch die Stadt Fürth in das dortige Gerichtsgefängnis gebracht.

Aus dem dortigen überfüllten Gefängnis wurden wir nach ca. 10 Tagen in das Zellengefängnis Nürnberg überführt, von dort aus nach ca. 5 Wochen in das Zuchthaus Straubing." (33)

 

Von den fünf Jahren haben beide Stadträte 20 Monate abgebüßt. Die Geldstrafen wurden später niedergeschlagen. Dr. Fries ergänzt:

 

"Während meiner Haftzeit hat meine Frau sich und meine drei Kinder von damals 2, 4 und 8 Jahren unter großen Opfern und Entbehrungen erhalten." (34)

 

Hätte der Nürnberger Stadtrat Dr, Fries im Gefängnis standhaft bleiben sollen? Hätte er trotz Drohungen und Lockungen des Kunstbeauftragten schweigen sollen?

Was aber wäre dann mit der Reichskrone geschehen?

Entweder wäre die Reichskrone schließlich doch noch von den Besatzern aufgefunden worden, oder sie hätte bei einer Besatzungsdauer - welche, wie wir nun wissen, gerade dabei ist, ein halbes Jahrhundert zu überschreiten -   irreparable Schäden erlitten.

 

W i e n :

 

Die Amerikaner hatten Dr. Fries zugesagt, die Reichskrone an den Ort, wo sie einst niedergelegt worden war, zurückzubringen. Sie hätten sich nicht an ihre Zusage halten müssen. Niemand hätte sie hindern können,  die Reichskrone entweder zu vernichten oder sie wie das mittelalterliche Elfenbeintäfelchen über den Atlantik zu verschiffen.

 

Die Amerikaner haben sich an ihre Zusage gehalten.

Warum?

Glaubten die Sieger, daß  die Reichskrone dort, wo sie  schon einmal 142 Jahre lang dem Reich vorenthalten worden war, besser von dem Reichsvolk abgeschnitten sei, als wenn sie wie einst der Waise den Blicken der Deutschen für immer entzogen wurde? Trauten die Eroberer einer unsichtbaren Krone mehr Kraft zu als einer sichtbaren?  Oder war es etwa die Kraft der Reichskrone selbst, welche die allenthalben zur Schau getragene Roheit dieser transatlantischen Abenteurer bezwang?

 

Versuche der Nürnberger, die Besatzer vom Verwahrungsrecht ihrer Stadt zu überzeugen, blieben erwartungsgemäß ohne Folge. Am 15.Dezember 1945 bekam das Hauptquartier der US - Streitkräfte in Europa  die endgültige Anweisung aus Washington, die "Insignien und Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches von der US - Zone Deutschlands in die Gewahrsame des Hauptquartiers der US - Streitkräfte in Österreich zwecks Übergabe an die österreichische Regierung zu transferieren." Österreich war inzwischen zum dritten Male gewaltsam vom Reich abgetrennt worden.

 

Am 3.Januar 1946, nachdem noch zusätzlich ein entsprechender Antrag der frisch installierten österreichischen Regierung in Nürnberg eingegangen war, wurde der gesamte Reichsschatz den Besatzern übergeben, um am folgenden Tage, wiederum ohne Beisein des Reichsvolkes, per Flugzeug  zurück in die alte Kaiserstadt befördert zu werden. Der General der US - Streitkräfte in Österreich übergab ihn dann, wie verabredet,  der neuen österreichischen Regierung. Ab 1. Januar 1954  werden in der wiedereröffneten Schatzkammer der Wiener Hofburg  die Reichskrone mit den Reichskleinodien wie einst vor 1938 dem Publikum vorgestellt.

 

D I E  E W I G K E I T

 

Die Deutschen im besiegten, zerstückelten, besetzten Reich behaupten, nichts mehr vom Reich und von des Reiches Krone  zu wissen.

Ist das wirklich so?

Die Reichsstadt Nürnberg, deren Ruinen die Sieger einst als Anschauungsobjekte vollzogener Gerechtigkeit   der Weltöffentlichkeit vorzustellen gedachten, Nürnberg ist wieder zum Schatzkästlein der Deutschen geworden.

 

Trotz  der Verlegenheiten, welche die Reichskrone  der wieder neu installierten Republik Österreich bereitet, trotz der  Verlautbarungen zahlloser Historiker, mit dem Sieg der  westlich demokratischen Werteordnung seien die Reichskleinodien nun endgültig zu Museumsstücken, zu "Antiquitäten" entheiligt und lägen in der Wiener Schatzkammer gerade am rechten Ort, - was ab 1815 galt, gilt noch immer:

 

"Die Republik Österreich verwahrt ebensowenig wie früher die Habsburger Monarchie die Reichskleinodien für das gesamte deutsche Volk. Vielmehr werden die in der Wiener Hofschatzkammer lagernden Reichskleinodien für Nürnberg verwahrt, wohin sie spätestens seit der Etablierung des deutschen Bundes hätten zurückgebracht werden müssen. Unabhängig von der Wiedervereinigung Deutschlands und der Diskussion um eine österreichische Nationalität ist die Stadt Albrecht Dürers und des Meistersingers Hans Sachs somit der einzige rechtmäßige Verwahrungsort für die Reichsinsignien Nürnberger Provenienz." (35)

 

Wenn auch Nürnberger Pressesprecher  "für die Wiederkehr der 1938 aus Wien gestohlenen Reichskleinodien keinerlei Notwendigkeit sehen", im Germanischen Museum ist ein ganzer Raum des ehemaligen Kartäuserklosters der Erinnerung an die Reichsheiltümer gewidmet. Wie einst vor dem Altar der Heilig Geist Kirche hängt in der Dämmerung zwischen den altersgrauen Mauern  der in Nürnberg zurückgebliebene gold - silberne Heiltumsschrein an langen Ketten von der Decke herab. In einem unter dem Schrein angebrachten Spiegel kann man das Bild der beiden Heiltümer betrachten, welche einst in dem Schrein geborgen waren. Ringsum, vom Dunkel der Wände bedeckt, sind weitere Erinnerungen an die Reichskleinodien ausgestellt: Zeichnungen aus der Zeit der Weisungen, Münzen mit Abbildungen der Reichskrone, das leere Futteral für einen Reichsapfel. Auf einer Tafel ist vermerkt, daß die Reichskleinodien im Jahre 1424 auf ewige Zeiten, unwiderruflich und unanfechtbar nach Nürnberg gekommen seien, um im Jahre 1796 auf Befehl Kaiser Franz II. nach Wien verbracht zu werden. Die Tafel schließt:

 

"In Nürnberg blieben nur der leere, silberne Heiltumsschrein und ein Lederfutteral für einen damals bereits verloren gegangenen Reichsapfel zurück."

 

Kein Vorwurf, keine Klage. Wer aber empfänglich für ist Ungesagtes, spürt  hinter dem Stolz die Trauer.

 

In der graudunklen Ehrenhalle des wiederaufgebauten Nürnberger Alten Rathauses steht gleich am Eingang ein Hinweisschild: "REICHSKLEINODIEN". In einer von unsichtbarer Lichtquelle erleuchteten Nische  sind die Kopien der Reichsinsignien ausgestellt: Reichskrone, Zepter und Reichapfel.

 

Eine Tafel neben der Nische erklärt:

"1424 wurden die Reichskleinodien von Kaiser Sigismund auf ewige Zeiten nach Nürnberg gebracht. In Heiltumsweisungen wurden sie dem Volke gezeigt. 1796 kamen sie nach Wien."

 

Ein anwesender Nürnberger, nach dem rechtmäßigen Ort der Reichskleinodien befragt, sagte: " Die Reichskleinodien gehören  nach Nürnberg. Wohin denn sonst!"

 

Das Reich der Deutschen, dessen irdische Formen immer unvollkommen, angreifbar und so leicht zerstörbar sind, diesem Reich haftet die Unzerstörbarkeit von Träumen an, die Zähigkeit der Sehnsucht, die Widerstandskraft von Samenkörnern, welche unbegrenzte Zeit lang zu ruhen fähig sind, bei der Berührung mit fruchtbarem Boden aber sogleich wieder in der Gestalt emporwachsen, welche in ihnen verborgen liegt.

 

In der Not des Reiches ist das Ende der Not immer schon  enthalten, auch, wenn denen, welche die Not leiden, weder die Tiefe der Not noch das heimliche Warten auf deren Ende bewußt ist. Ende der Reichsnot aber heißt auch:  Heimkehr der Reichskleinodien, Heimkehr unserer  achtplattigen, perlen - , bild - , und edelsteingeschmückten Krone nach Nürnberg in des Reiches Mitte.

Es ist alles bereit, denn  "wir Irdischen (leben) nicht aus dem Gestrigen ..., sondern aus dem ewig Bleibenden." (36)

 

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1. s. Hannsmartin Decker-Hauff, Die Reichskrone, angefertigt für Kaiser Otto I., in: P. E. Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik, Bd. II, Stuttgart 1955, S. 560 - 637

2. s. P. E. Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbilk, Bd. III, Stuttgart 1956, S. 801 - 816

Hubert Herkomer, Der Waise, aller Fürsten Leitesterne, in : Die Reichsidee in der deutschen Dichtung des Mittelalters, hrg. von Rüdiger Schnell, Wege der Forschung, Bd. 589, Darmstadt 1983

3. zit. nach Schramm S. 805

4. zit. nach Schramm S. 809

5. zit. nach Schramm S. 814

6. s. Decker-Hauff, Georg Kugler, Die Reichskrone, Wien 1968

7. s.  Kugler S. 36

8. s. Klaus - Peter Schröder, Die Nürnberger Reichskleinodien in Wien, Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte, Bd. 108, Wien 1991, S. 323 - 346

9.  zit. nach Schröder S. 330

10. Wilhelm Raabe, Des Reiches Krone, Reclam, 1963, S. 48

11. Ernst Kubin, Die Reichskleinodien, Wien 1991, S. 77

12.  Kurt Löcher, Dürers Kaiserbilder, in: Das Schatzhaus der deutschen Geschichte, hrg. von Rudolf Pörtner, Düsseldorf 1982, S. 315 f.

13.Löcher, S. 307

14. Nürnberger Zeitung, 7.9.38, in : Die Reichsinsignien wieder in Nürnberg

15. s. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Stuttgart 19752

16. Hellmut Diwald, Geschichte der Deutschen, Frankfurt 1978, S. 410

17. Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, Stuttgart 19783, S. 37

18. zit. nach Schröder S. 333

19. zit. nach Schröder S. 333

20. Schröder S. 338

21. Schröder S. 338

22. Schröder S. 342, Anm. 89

23. zit. nach Schröder S. 342 f.

24. Fränkischer Kurier, 6.9.1938, in: Der Empfang des Führers im großen Rathaussaal

25. Frankfurter Zeitung, 7.9.1938, in: Die Übergabe der alten Reichssymbole

26. Fränkischer Kurier, 7.9.1938, in : Die feierliche Übergabe der  Reichskleinodien

27. Georg Haupt, Die Reichsinsignien, ihre Geschichte und  Bedeutung, Leipzig 1939, S. 34

28. s.  Kubin, dazu: Berichte aus dem Nürnberger Stadtarchiv: 2 Berichte von Heinz Schmeißner, I: 11.8.1945  II. 2.6.1954

2 Berichte von Dr. Konrad Fries, I: 29.5.1954  II. März 1972

Bericht von Gerhard Pfeiffer, Juli 1954

29. Pfeiffer S. 2f.

30. Schmeißner I, S. 2

31. Fries I, S. 6f.

32. Fries II, S. 11

33. Schmeißner II, S. 2

34. Fries II, S. 14

35. Schröder S. 346

36. Hellmut Diwald, Ein Querkopf braucht kein Alibi, Frankfurt/M. 1991, S. 319

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